Dankbar trotz Demenz – Tante Frieda

„Lob und Dank“ – bis zur letzten Stunde

 

Frieda Bianzano aus Offenburg schloss sich zu einer Zeit der Pfingstbewegung an, in der dies in Deutschland einen hohen Preis kostete. Trotz aller Stürme prägte Dankbarkeit ihr Wesen – selbst als ihr Denken an Klarheit verlor. 

 

Als ich Tante Frieda kennenlernte, erkannte sie beinahe niemanden mehr. „Das ist deine Schwester, die Martha!“, rief meine Schwägerin der 97jährigen Tante meines Mannes ins Ohr und deutete auf meine Schwiegermutter. „Lob und Dank!“, Tante Frieda lächelte in ihrem Sessel. „Lob und Dank!“ Doch jeder ahnte, dass ihr Gehirn sich keinen Reim mehr auf diese Worte  machen konnte. „Und das ist dein Neffe, der Hanspeter!“ Die Tante nickte wieder und hob die Hände. „Lob und Dank! Lob und Dank!“ In dieser Art verlief der gesamte Besuch. Ganz gleich, was man Tante Frieda erzählte oder neben ihr sprach – sie reagierte stets mit den Worten: „Lob und Dank!“

Zuerst war ich befremdet über diese unerwartete Begegnung mit einem dementen Menschen. Dann aber war ich tief bewegt. Man sagt, im Alter komme der wahre Charakter eines Menschen zum Vorschein. Was würde wohl von mir übrig bleiben, wenn Körper und Verstand – und darüber mag keiner nachdenken – mir den Dienst versagen würden? Ich war beeindruckt von dieser zarten gebrechlichen Frau, die offensichtlich so von Dankbarkeit durchtränkt war, dass „Lob und Dank“ die Essenz ihres Lebens war – selbst als sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Und dabei gehörte Frieda Bianzano, geboren 1903, zu einer Generation, die zwei Weltkriege erleben musste.

Im Jugendalter verlor sie ihre Mutter. Der Vater warf Frieda aus dem Haus, als er zu hören bekam, dass die feurige junge Christin mit der Heilsarmee in der Stadt Traktate verteilte. Sie entschied sich für ein Leben als Diakonisse. Doch ein paar Jahre später wurde sie von ihrer  Schwesternschaft gezwungen, die Tracht abzulegen. Es war bekannt geworden, dass die geistlich hungrige Krankenschwester Versammlungen der Pfingstbewegung besuchte. Als sie sich taufen ließ, war der Skandal perfekt. Sie wurde mit Kriegsbeginn zum Dienst im Lazarett eingezogen.

Heimlich hielt sie sich weiter zu einem Kreis von Menschen, die in Zungen beteten, an Heilung glaubten und prophezeiten, während andere in dieser Zeit die Hand zum Hitlergruß erhoben. Die „Biblische Glaubensgemeinschaft“ wurde wie andere religiöse Gruppen offiziell aufgelöst, Schreibmaschinen und Schriften konfisziert und der Leiter, Gottfried Schock, verhaftet. Die Nazis drohten ihm mit Konzentrationslager, um die Namen von Gläubigen zu erpressen. Noch viele Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wagte sich Friedas Gemeinde kaum aus der Verborgenheit. Dennoch stand sie mit vielen „Urbiblischen Kreisen“, so nannte man sich damals, in Berlin, im Osten Deutschlands, in der Schweiz, Italien, Norwegen bis hin nach Südafrika in regem Kontakt.

„Lob und Dank – das war wie ein Siegesruf für sie“, so erinnert sich meine Schwägerin Renate Schöpflin, die ihre Tante am Ende ihres Lebens pflegte. Überschwänglich habe sich die gebrechliche Frau täglich für jede Hilfe bedankt. Als sie noch bei klarem Verstand war, habe sie oft gesagt: „Loben zieht nach oben – danken schützt vor Wanken.“

Sie hatte sich in vielen Stunden angefochten und „von Dunklem“ bedrängt gefühlt. „Aber es kennzeichnete Tante Friedas geistliches Leben, für alles Gott zu danken – und nicht nur zu bitten. Ganz gleich, um was sie bat, immer dankte sie gleich dafür, dass Gott sie hören und erhören würde. Das war ihre Art, die Dinge im Glauben zu empfangen.“

 

 

Foto1: Eine feurige junge Christin: Die 19jährige Frieda Bianzano im Jahre 1922 mit meiner damals zweijährigen Schwiegermutter Martha und ihrem Bruder Helmut.

 

Foto2: „Lob und Dank!“ Diese Worte prägten „Tante Friedas“ Leben, auch als im hohem Alter ihr Verstand an Klarheit verlor. Fotos: privat