Franz Tausend /Fremde Spionin (Titus Müller)

 Titus Müller

„Die fremde Spionin“

Heyne-Verlag, 400 Seiten

Ein Blick aus Agenten-Augen auf die deutsche Geschichte

„Die fremde Spionin“ von Titus Müller nimmt den Leser mit in einen Zeitabschnitt deutscher Geschichte, über den im Westen oft Ahnungslosigkeit herrscht. Der Autor lässt in seinen Figuren die Zeit unmittelbar vor dem Mauerbau in Berlin 1961 lebendig werden. Im Mittelpunkt der Handlung steht Ria Nachtmann, die von den DDR-Behörden als Kind von ihren Eltern getrennt und in eine systemkonforme Pflegefamilie gegeben wurde. Getrieben von Rachegefühlen und der Hoffnung, die verschollene Schwester wiederzufinden, lässt sich die junge Frau vom westlichen Bundesnachrichtendienst als Spionin anheuern. Als ihr jedoch ein russischer KGB-Agent auf die Schliche kommt, gerät sie als Doppelagentin zwischen die Fronten – zugespitzt bis in den von der DDR-Führung verheimlichten Moment der Teilung Berlins. Titus Müller versteht es wieder einmal, den historischen Stoff atemberaubend aufzubereiten. James Bond lässt grüßen! Gewissenhaft recherchiert, ermöglicht er es, in ungewöhnliche Perspektiven von Menschen zu schlüpfen, die man sonst nur aus dem Schulbuch kennt, wie etwa Honnecker, Schalck und Kennedy, oder in die des KGB-Agenten Sorokin, der ebenfalls nach realen Vorbildern gestaltet ist. Dadurch werden die Motive für den Mauerbau und der politische Hintergrund auf fesselnde Weise nachvollziehbar. Mit Ria Nachtmann gerät man als Leser mit hinein in den inneren Konflikt der Menschen dieser Zeit, die zwischen Ost und West zerrissen waren. Die vielen Details, die der Autor in die Handlung hineinwebt, lassen dabei eine so dichte und reale Welt entstehen, der man sich kaum entziehen kann. Es ist, als würde man beim Lesen selbst ein Rädchen im Getriebe der Geschichte werden – ein Rädchen wie die „Spionin“, gefangen zwischen Zwang und Schein und dem, was das Herz wirklich begehrt. „Die fremde Spionin“ ist Auftakt einer Reihe, die sich bis in die heutige Zeit fortsetzen wird.

Gertraud Schöpflin

 

 

Titus Müller

Die goldenen Jahre des Franz Tausend

1924-1938, München, Berlin und Stettin.
Erschienen März 2020 im Blessing Verlag, 384 Seiten

 

Unglaublich lebendige Zeitreise

Von Anfang an hat mich dieses Buch fasziniert: Schon der Einstieg mit Thomas Mann als Ouvertüre ins Thema „Hochstapler“ ist unglaublich gelungen. Plötzlich bin ich als Leser ins Innenleben dieses Schriftstellers katapultiert, über den ich – zugegeben – zuvor nicht sonderlich viel wusste. Am Ende des Buches erscheint er mir wie ein Vertrauter… Dem Autor gelingt es, ausgehend von der wahren und gewissenhaft recherchierten Geschichte des Hochstaplers Franz Tausend, die Zeit der 30er Jahre lebendig zu werden, die mir davor nur staubtrocken aus dem Geschichtsbuch bekannt war. Beim Lesen jedoch geht mir das ganze Geschehen von damals unter die Haut. Es ist, als wäre ich mittendrin, ich leide mit den Akteuren auf dieser „Weltbühne“ und erfahre dabei unglaublich viel über eine Zeit, in der die Nazis an die Macht gekommen sind. Dabei gelingt es dem Autor, jeder Person den Spiegel des Hochstaplers vorzuhalten. Alle Figuren – ob fiktiv oder historisch – geraten in den Konflikt von Schein und Sein – der Kriminalpolizist (die Ich-Perspektive ist einfach klasse), General Ludendorff, Reichspräsident Göring, die Geliebte… Am Ende wirkt der Hochstapler Franz Tausend nur traurig lächerlich im Vergleich zu den Nationalsozialisten, die mit Gewalt und undemokratisch nach der Macht greifen. Die Verfangenheit dieser Generation wird nachvollziehbar – und wirft viele Fragen zu Heute auf. Besonders beeindruckt hat mich die Person des Carl von Ossietzky, den ich in diesem Roman zum ersten Mal als historische Person wahrgenommen habe. Beeindruckend, wie er sich den Kampf für den Frieden alles hat kosten lassen – bis hin zum KZ. Das Buch setzt diesem Mann (und er ist sehr menschlich geschildert) und der Friedensbewegung von damals ein Denkmal. Allein diese Geschichte ist das Buch wert!